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Isabelle Ulbrich

GEBRANNTE MANDELN UND EINE SCHÖNE BESCHERUNG

MONTAG, 2. DEZEMBER

Auf dem morgendlichen Weg zu meinem kalten Auto schaue ich aufs Handy. 7:24h – es ist dunkel, es regnet, es windet. «Hurra Advent…», denke ich, während mir der Autoschlüssel in die Baggersee-grosse Pfütze neben dem Eingangsbereich fällt. Aber nein, ich lasse mir meine gute Laune nicht von meteorologischen Widrigkeiten nehmen. Heute nicht! Schliesslich ist das doch die romantischste Jahreszeit – voller Kerzen, voller Duft, voller Plätzchen und strahlenden Kinderaugen und… Matsch am Schlüssel. Ich steige ein, mach die Sitzheizung an und drehe den Schlüssel um. Natürlich kommt, was kommen muss: Vor meinem geistigen Auge fährt eine blondierte Föhnwelle in einer roten Gondel lächelnd den Berg empor. «Lars Krismäs, ei geyf ju mei hart...», tönt es aus den Lautsprechern. Endlich ist es wieder soweit. Fröhliche Freude – schöne Bescherung!


Hand hält eine Weihnachtsdeko in Form eines hölzernen Tannenbaumes vor einem bunten Lichtersprenkel.

MITTWOCH, 4. DEZEMBER


«Also wir planen es jetzt so, dass Hildegard und Manfred am 23. schon zu uns kommen. So haben wir nach dem Fest weniger Stress und das Geschirr wird auch ausreichen. Ursula und Gerd kommen dann zwischen den Jahren. Ich bin nur gespannt, ob sich Thorsten dieses Jahr etwas zurückhalten kann. Es ist ja schon fast Tradition, dass er und Manfred sich an Weihnachten über die Gartendekoration streiten. Hell muss es sein – und blinken. Aber Du weisst ja, wie das ist…»


Irritiert wende ich den Blick von meinem Bildschirm auf den Mittelgang des Büros. Mit Lametta in der linken und einer Tasse «Innere-Ruhe»-Tee in der rechten Hand steht Simone mit Jakob am Drucker. `Ein Organ hat diese Frau… Aber warum Lametta? Drucker dekorieren? Oder Jakob? `, denke ich, während ich Simones Weihnachtsplanung unfreiwillig mitverfolge. Gibt es eigentlich nicht auch «Äussere-Ruhe-Tee»? Vermutlich bin ich mal wieder zu unweihnachtlich. Ich verzeihe mir selbst – schliesslich ist bald Weihnachten und alles will geplant, eingeladen und bekocht sein. Wohl bekomm’s.


DIENSTAG, 10. DEZEMBER


«Es ist doch zum Mäusemelken. Da legt man bei einem Online-Versandhaus schon eine Wunschliste für Serafina an und was passiert? Sie wird gute zwei Wochen vor Heiligabend aktualisiert. Meine Frau war natürlich am Wochenende auch noch einen Grosseinkauf machen. Rate mal, was sie sich in dem Zuge noch gegönnt hat?! Genau die Saftpresse, die ich am Donnerstag für sie bestellt habe. Da wirst Du doch wirklich irre...» Herrjemine, der arme Thorben. Da ist man schon so romantisch digital unterwegs und am Ende bringt es doch wieder nur Geschenkefrust. Weihnachten kommt halt auch immer überraschend. Und ich bin mir langsam nicht mehr ganz sicher, ob ich hier im Büro oder in der Weihnachtswerkstatt am Nordpol bin…


MITTWOCH, 18. DEZEMBER


Die Reihen unseres Büros lichten sich langsam. Erkältungswelle, volle Überstundenkonten und vorzeitige Winterurlaube zollen Tribut. Da sitze ich nun und vertrete Karsten und Andrea. Ich mache das wirklich gerne – sehr gerne sogar. Beide haben mir als kleinen Dank für die Urlaubsvertretung eine Schale voll Plätzchen auf meinen Schreibtisch gestellt. «Laaaft Krifmefff, …», singe ich vor mich hin, während ich mir noch einen zweiten Walnuss-Doppeldecker in den Mund schiebe. War schon schlechter! «Du bist morgen Abend auch dabei, oder?», tönt es mich vom Nachbarschreibtisch an. Verwundert umgedreht kommt lediglich ein «Bei waff?» aus meinem bröseligen Mund. «Na bei unserem Weihnachtsmarktbesuch. Herr Koch hat uns doch zum Abschluss des Jahres eingeladen.» Stimmt, da war was. Eine weitere wunderbare Tradition der Abteilung. Und natürlich bin ich dabei, wenn der Abteilungsleiter zu einem netten Weihnachtsmarktbesuch einlädt!


DONNERSTAG, 19. DEZEMBER


Nach einem aufreibenden Arbeitstag unter dem Titel «Das geht doch sicher alles noch in diesem Jahr, oder?» mit 516 Plätzchen und fünf Tassen «Innere-Ruhe-Tee» befinde ich mich nun inmitten einer grossen Menschentraube auf dem Weihnachtsmarkt. Es duftet nach Waffeln, Zimt, Bratwurst und … ausgeatmetem Glühwein. «Schön, dassumitbiss.», haucht mich Rebekka an, die nach dem zweiten Heissgetränk ein wenig aufgetaut ist. «Möchssu Branntemandel?» Das lasse ich mir nicht zweimal sagen! Noch während sich die Honig-Mandel-Mischung in den Zwischenraum meiner vorhandenen Backenzähne reinarbeitet, schlägt Herr Koch viermal mit einem Kugelschreiber an sein Glühweinglas. «Liebe Belegschaft, es ist mir eine grosse Freude, dass ihr alle heute meiner Einladung […]. Sicher wird auch im kommenden Jahr […] Herausforderungen meistern […] hoch motiviertes Team […]. Ich bin stolz […] dynamisch […]». Er ist ja wirklich ein netter Kerl der Herr Koch. Und es freut mich auch, dass der halbe Weihnachtsmarkt nun ebenfalls andächtig den Worten unseres Chefs zuhört. Man könnte fast meinen, die städtische Blaskapelle hätte voller Andacht alle musikalischen Bestrebungen eingestellt. Und tatsächlich: Nach dem letzten «Herzlichen Dank!» von Herrn Koch klatschen auch Unbeteiligte mit Kindern auf dem Arm, sowie die nette Dame hinter der Wursttheke am Bratwurststand mit. Ach ja, Weihnachten ist dann halt die Zeit der Zusammenkunft und Freude. Gibt es auf so einem Markt eigentlich irgendwo Toiletten?


FREITAG, 20. DEZEMBER


«Ha-lloooo…lo…lo…lo - ist da jeeemand…mand…and...? Tja, so wie es aussieht bin ich im Büro heute wohl allein. Immerhin hat man dann doch die Möglichkeit, in Ruhe seiner letzten Aufgaben nachzugehen. Da es niemanden stören kann, schalte ich das Radio ein. „Lars Krismäs, …“ Fupp - das Radio ist wieder aus. Nun ja, dann bleibt es eben still hier. Da auch das Telefon scheinbar den Dienst quittiert hat, nutze ich die Zeit und räume etwas auf. Was man da alles findet… Eine alte Rechnung die ich im Juni ganze zwei Wochen lang erfolglos gesucht hatte. Oder hier, Überreste eines Walnuss-Doppeldeckers neben meiner Laptoptasche - glücklicherweise von diesem Jahr. Ich statte mich mit einem Eimer Wasser und ein paar Papiertüchern aus, um dem Jahr und meinem Schreibtisch noch ein reinigendes Ende zu bereiten. Laute Klopfgeräusche reissen mich aus meinen Gedanken. Wer will denn bitte heute noch irgendwas? …KNOCK KNOCK KNOCK.


„Hallo!! Ein Paket! Hallo?“ Mit der Frage, wer denn wohl so wahnwitzig ist, ein Paket ins Büro zu bestellen, gehe ich dem Liefermenschen entgegen. „Hallo, schönen guten Ta…“ „Hallo hier Paket!“, drückt er mir ein circa 1m3 Paket in die Hand und entschwindet wortlos. Ahja – für Joachim Maximilian Koch. Zu blöd, dass der mit dem gestrigen Weihnachtsmarktbesuch seine Ferien eingeläutet hat. Da wie üblich an einer Ecke das Verpackungsmaterial eingerissen ist, sehe ich zufällig, was sich darin befindet. Wie viel Glück muss man haben?! Schnellwahltaste gedrückt – zweimal Klingeln. „Ja hallo, Koch hi…“.


„Hallo Herr Koch, hier die übrig gebliebene Dame aus dem Büro. Eben wurde ein Paket für Sie abgegeben. Ich glaube es handelt sich um ein Weihnachtsgeschenk… Wenn Sie möchten, kann ich es Ihnen vorbeibringen... Ich habe zwar noch wahnsinnig viel zu tun hier, aber auf dem Heimweg kann ich gern einen Umweg machen.“


„Wirklich? Das wäre super nett!! Da habe ich schon eine ganze Weile drauf gewartet.“ Genau das wollte ich hören… Und wer nun meint, ich wäre ein vorbildlich hilfsbereiter Mensch, der liegt damit einerseits vollkommen richtig. Andererseits lässt sich eine Carrera-Rennbahn, sofern man sie vorsichtig genug auspackt, auch wieder originalgetreu einpacken... Und damit verschiebe ich meine Putzpläne. Nach den Ferien ist dafür ja auch noch Zeit.


In diesem Sinne: Frohe vorweihnachtliche Grüsse und eine schöne Bescherung!

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